Manchmal will ich so viel, habe Pläne und Ideen. Ich will regelmässiger Sport treiben, will endlich ein Fotoalbum erstellen, will Abos kündigen, will ruhig gewordene Chats mit Freunden wiederbeleben, will Herbstdeko in der Wohnung anbringen – okay, letzteres war gelogen, das will ich nicht wirklich, aber da meine ich, das wollen zu müssen. Jedenfalls sind all diese Vorhaben und all die Ziele irgendwie wieder schnell vergessen und ich scrolle nach einem langen Tag doch nur wieder durch Instagram.
In der Motivationspsychologie nennt man dieses Phänomen Intensions-Verhaltens-Lücke. Wir haben viele Absichten, haben Motivation, diese in Angriff zu nehmen, die Übersetzung des Wunsches in unserem Kopf in ein tatsächliches Verhalten funktioniert aber nicht. Oft bleibt es eben doch nur im Kopf. Aufs Jahresende bietet es sich an, einmal Rückschau zu halten und im Zuge dessen Vorsätze für Silvester zu formulieren. Wobei «anbieten» nett formuliert ist: Zum Jahresende erzählt uns jedes Magazin, wir sollen manifestieren, was wir uns wünschen. Wenn wir viel an unsere Ziele denken, können wir alles schaffen. Alleine das Imaginieren vom schönen Sofa bis hin zur Lohnerhöhung soll helfen, glücklicher zu werden. Und ja, aus psychologischer Sicht ist es sicherlich schon mal gut, viel Zeit darauf zu verwenden, daran zu denken, was man will (im Gegensatz zu den Dingen, die man nicht will). Genauso relevant ist aber die Überlegung, wie man dahin kommen will. Diese Lücke ist wie ein Graben im Boden, der durch schlechte Laune, Ablenkung, geringe Selbstkontrolle, und ja, auch durch lasche Planung, immer grösser wird. Der Sprung auf die andere Seite wird so immer schwieriger, ja ein Absturz auch wahrscheinlicher, sodass wir schliesslich lieber umkehren, als darüber zu springen.
Wir haben viele Absichten, haben Motivation, diese in Angriff zu nehmen, die Übersetzung des Wunsches in unserem Kopf in ein tatsächliches Verhalten funktioniert aber nicht. Oft bleibt es eben doch nur im Kopf.
– Simone Bodenmann-Heim
Es gibt aber ein paar wissenschaftlich bestätigte Strategien, um den Graben zu überwinden. Für alle jene, die mit einem Vorsatz liebäugeln, teile ich diese gerne.
- Etappenziele und Feedbackmöglichkeiten festlegen: Der gewünschte Fortschritt soll konkret formuliert und überprüfbar sein. Dies kann mit Tagebucheinträgen, Apps oder im Austausch mit anderen passieren. Wenn mein Ziel fürs neue Jahr also mehr Ordnung wäre, dann würde ich nun festlegen, welche Bereiche ich aufgeräumt haben möchte, bis wann ich dies möchte und mich auch fragen, woran ich bemerken würde, dass ich ordentlicher bin. Zudem würde ich wöchentlich kurz notieren, ob ich ein Etappenziel erreicht habe.
- Verbindlichkeit, Commitment erhöhen: Ich schaffe eher meinen Absichten zu folgen, wenn ich all meine Freundinnen schon davon erzählt habe und ich weiss, dass sie mich nach meinen Fortschritten fragen. In meinem Beispiel bedeutet dies, dass ich die Verbindlichkeit durch das Verfassen dieses Textes gleich um ein Vielfaches erhöht habe. Auch hilfreich ist soziale Unterstützung, sprich ich werde meinen Ehemann informieren, dass uns unglaublich lässige Aufräumabende bevorstehen.
- Wiederholungen: Neue Verhaltensweise müssen geübt, gemacht, wiederholt werden, erst wenn aus gelegentlichem Verhalten eine neue Gewohnheit wird, sprechen wir von einer nachhaltigen Verhaltensänderung. Um bei der Analogie mit dem Graben zu bleiben; Irgendwann hüpfe ich so oft darüber, dass ich entscheide eine Brücke zu bauen. Das geht lange, doch mit der Zeit werde ich vergessen, dass da mal keine Brücke mehr war.
- Wenn–Dann-Pläne: Veronika Brandstätter, Professorin für Motivationspsychologie an der Universität Zürich, konnte mit Kolleg*innen belegen, dass die Lücke mit konkreten «Wenn-Dann-Plänen» verringert werden kann. Im Aufräumbeispiel würde ich mir mehrfach sagen, «wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, dann räume ich sogleich sämtliche Schuhe in das Schuhregal».
Um bei der Analogie mit dem Graben zu bleiben; Irgendwann hüpfe ich so oft darüber, dass ich entscheide eine Brücke zu bauen.
– Simone Bodenmann-Heim
Wenn ich mir also dieses Jahr einen Vorsatz machen sollte, dann wähle ich ganz bewusst nur eine Sache aus und versuche, oben genannte Punkte zu beachten. Sollte es nun trotz all diesen hilfreichen Strategien und sämtlichen Bemühungen nicht klappen, dann möchte ich mindestens eine letzte Strategie anwenden:
- Selbstmitgefühl praktizieren: Es kann Tage geben, da fehlt die Kapazität oder die emotionale Ausgeglichenheit Neues anzugehen. Ausnahmen bestätigen die Regel, ich muss mich weder selbstkasteien und beschämen, noch an meinem Vorhaben zweifeln. Ich bringe Verständnis für mich und meine Situation auf, gebe mir eine Umarmung, lese obige Punkte nochmals durch und vertraue darauf, dass ich am nächsten Tag wieder mit Leichtigkeit den Sprung wage.
Bei konsequenter Anwendung der oben genannten Tipps bin ich sicher, es wird eine Veränderung geben. Entweder werde ich Ende 2026 als die kleine Schwester von Marie Kondo gehandelt, oder aber ich steige so gelassen und entspannt über all die Turnschuhe, Haufen von Kitakleidern und Schleichtierli im Hauseingang, dass ich mich in einem Jahr kaum mehr erinnere, weshalb ich ursprünglich so etwas wie «Ordnung» als erstrebenswertes Jahresziel festgelegt habe.
Text: Simone Bodenmann-Heim, Psychologin M. Sc., Psychotherapeutin
